Sonntag, 11. Mai 2008

AUSSEN WIE INNEN

„Maitre, glaubst du wirklich, man könne die Menschen so wenig ändern wie das Wetter?“
„Was hast du eben gerade geschrieben“, wollte er wissen. „Was hat das mit meiner Frage zu tun? Aber ich habe meinen Unterricht für morgen skizziert!“
„Und, kriegst du deine Themen immer durch?“
„Oh je, das ist eine schwere Kiste“ meinte ich. „Die Eine hat keine Lust, ein Anderer kann sich nicht konzentrieren und versteht nur Bahnhof, die Nächste fummelt an ihrem Handy rum, einer malte kürzlich Strichmännchen und ich bin oft froh wenn meine vier Stunden rum sind.“
„Und was tust du die Leute zu motivieren?“ Fragte Maitre.
„Fragen, erklären, Beispiele geben, mit Bildern arbeiten, mitunter schimpfen usw.“ antwortete ich.
„Also zufrieden bin ich nicht und nicht selten zweifle ich an meinen Fähigkeiten“
„Das ist doch wenigstens schon ein Anfang“ meinte Maitre, der übrigens früher in der Erwachsenenbildung arbeitete und heute noch hin und wieder zu Vorträgen eingeladen wird.
„Klappt es denn mit deiner Strategie?“
„Doch in einer anderen Gruppe funktioniert das wunderbar, aber meine Montagskandidaten sind mitunter der reinste Horror.“
„Suche deinen Meister, wenn du ihn brauchst wirst du ihn finden“ sagte Maitre.
„Hä?“ Ich schaute mal wieder ratlos drein, „was ist das wieder für eine schlaue These?“
Maitre lächelte amüsiert. „Das ist ein alter ZEN-Spruch“ meinte er „und er beinhaltet für mich eine Menge Wahrheit. Ich habe mich stets als Tankstelle gesehen, denn wer geistigen Sprit brauche der wird mich schon anzapfen und wer nicht der soll es halt bleiben lassen.“
„Und dann gingst du pinkeln“ warf ich spöttisch ein.
„Mitunter schon“ gab er lachend zurück.
„Hast du den Film der Club der toten Dichter gesehen?“
„Hab ich“ sagte ich.
Dann erinnerst du dich sicher an die Szene wo Robin Williams, der den Englischlehrer John Keating spielte, auf den Tisch stieg, um zu symbolisieren, dass, wenn man nicht mehr weiter weiß, man die Perspektive ändern solle.“
„Ja, sehr beeindruckend“ sagte ich, „wie übrigens der ganze Film.“
„Im Unterricht ist es doch wie im richtigen Leben, da helfen Programme und Strategien nur bedingt“, meinte Maitre. “Ich habe mich zwar für alle Fälle auch immer gut vorbereitet, aber dann die Programme und Strategien immer mit den Teilnehmern zusammen entwickelt. Und noch was Columbo, ein Lehrer darf auch seinen Ärger zeigen, darf meiner Meinung nach erkennen lassen, dass ihm das Verhalten eines Schülers auf den Zeiger geht. Man muss das zwar nicht per Holzhammer machen, aber die Leute sollen sehen dass da ein Mensch ist.“
Hm, dachte ich. Will ich nicht immer perfekt sein? Programme, Konzepte, Ziele, (Kompetenzen heißt das heute) alles schön und gut, aber was wenn ein anderer partout nicht will? Und mit schlechten Noten drohen, oder mit Durchfallen usw. das ist nun wirklich nicht mein Ding.
„Du kennst doch die Aussage, dass instruktive Interaktion nicht funktioniert“, meinte Maitre.
„Ja, du meinst niemand will sich gerne sagen lassen was er zu tun hat“, antwortete ich.
„Ich finde, dass dies in den meisten Situationen der Fall ist, wo man mit Menschen zu tun hat“ sagte er. „Selten ist jemand innen wie außen, will sagen er tut etwas halt weil er es muss, obwohl seine innere Überzeugung eine andere ist.“
„Also müsste man doch soweit kommen, jemandes Innen nach außen zu kehren“, sagte ich nachdenklich.
„Aber das kann er nur selbst“ meinte Maitre, „er muss das Wollen wollen, sonst geht gar nichts“

Freitag, 9. Mai 2008

IM BISTRO

Wie saßen im Bistro beim frisch gezapften Weizenbier. Draußen wurde es allmählich dunkel und es regnete immer noch. „Geh weg“ sagte Maitre und blickte dabei aus dem Fenster, „geh endlich weg, fort mit dir“ sagte er wieder. Ich schaute hinaus, sah aber nichts. „Sag mal Maitre, hast du Halluzinationen?“ „Geh doch endlich weg“, wiederholte er. „Was soll das“ fragte ich ihn wohl ahnend dass er wieder mal was im Schilde führte.
„Ich will dass es aufhört zu regnen und ich möchte auch nicht dass es dunkel wird!“ „Du Spinner sagte ich lachend das geht doch gar nicht!“
„Siehst du“ meinte er, „es gibt eben Dinge die lassen sich nicht ändern, also habe wir keine andere Wahl als sie gleichgültig über uns ergehen zu lassen.“
Allmählich dämmerte es mir. „Ach so, du meinst die Menschen lassen sich ebenso wenig ändern wie das Wetter?“
„Wenn dem so ist Columbo, warum lässt du dann den W. oder H.G. und J. nicht einfach so sein wie sie sind und haderst nicht ständig mit ihnen?“
„Sie gehen mir halt auf die Nerven“ antwortete ich.
„Dann bleib doch weg“ „Aber“ ich setzte gerade an mich zu verteidigen, da stand Maitre auf und sagte: „Warte mal, ich komme gleich, muß nur schnell zur Toilette“
Während er weg war dachte ich nach. Wegbleiben? Da kann ich mich doch gleich zu Hause einschließen. Ist es nicht wichtig Kontakte zu haben, sich auszutauschen, unter Menschen zu gehen? Vereinsamt man dann nicht? So sinnierte ich noch ein wenig nach. Fast eine viertel Stunde war bereits vergangen und Maitre war immer noch nicht zurück. Er wird doch nicht eingeschlafen sein, dachte ich.
Ich bestellte mit noch ein Weizenbier und überlegte wie ich am nächsten Tag meine vier Stunden Unterricht gestalten wollte. Während ich gerade dabei war mir ein paar Notizen zu machen kam Maitre zurück.
„Hab mir schon Sorgen gemacht es wäre dir was passiert“ meinte ich.
Er lachte „und was hast du gemacht als ich weg war?“
„Das siehst du doch ich schreibe“
„Gut so Columbo!“
„Was heißt hier gut so“, wollte ich wissen.
„Na ja“ meinte er, irgendwann hast du aufgehört dich mit dem zu befassen worüber wir gesprochen haben.“
„Stimmt“ sagte ich, „mir gingen andere Dinge durch den Kopf.“
„So mach ich das immer, wenn mir ein Thema nicht gefällt, oder ich merke dass sich eine Spannung aufbaut, geh ich einfach pinkeln, egal ob ich muss oder nicht, dann haben wir beide Gelegenheit unser Mütchen zu kühlen.“
„Du Spinner“ sagte ich lachend, aber im Grunde ist da was dran, dachte ich, denn während er weg war tat ich ja dann doch was anderes. Ich fühlte mich jetzt sehr entspannt.

Donnerstag, 8. Mai 2008

BEI EINER KLEINEN TASSE TEE

Nur einen kurzen Besuch will ich bei ihr machen, vielleicht eine Tasse Tee trinken, ein bisschen plaudern.
Ihre Freundin ist da. Wir trinken Tee, sie serviert einen Kognak zwischendurch.
Ich gehe zur Toilette, auf einmal steht sie hinter mir und umarmt mich. „Du machst mich verrückt“ sagt sie.
Ihr Gesicht glüht vor Erregung. „Wieder kein Schlüpfer“ flüstert sie.
Wir lieben uns im Stehen, mir bricht der Schweiß aus, mein Herz pocht wie wahnsinnig, es springt mir schier aus der Brust.
Sie schreit ihre Lust heraus.
„Aber deine Freundin“ stammelte ich.
„Ach lass sie, ist doch egal“ sagte sie.
Und plötzlich steht sie in Raum die Freundin, sie ist nackt und sichtlich erregt. „Lasst mich zusehen, bitte, mehr nicht, ich will euch nur zusehen“ bat sie.
Oh mein Gott, denke ich, das darf doch nicht wahr sein. Aber ich spüre wie es mich anmacht und gerate völlig in Extase.
Sie steht seitlich neben uns, beobachtet mit hochrotem Kopf das Geschehen. Rasend gleiten ihre Finger über ihre rasierte Scham.
Unfassbar!

BEL SOLAIR

So mies wie das Wetter fühlte ich mich an diesem Sonntag. Es regnete anscheinend nur einmal und ich war müde und gereizt, konnte mich einfach zu nichts aufraffen. Was sollte ich machen heute? Lesen? Nichts Gescheites da, Fernsehen? Scheiß Programm, also… Decke über den Kopf, nichts sehen und nichts hören.
Das Telefon klingelte, ätzend schrill, unangenehm laut. Nein heute bitte nicht, dachte ich und ließ es läuten. Aber der Anrufer war hartnäckig, also ging ich irgendwann doch dran. Es war Maitre.
„Sag mal“ begann er, „habe ich dich aus dem Koma geholt, oder was? Schon dreimal habe ich es durchläuten lassen! „Sorry, mein Freund, sagte ich, „aber heute ist anscheinend nicht mein Tag.“
„ Ok, ich mach dir nen Vorschlag,“ meinte er, „in einer halben Stunde bin ich bei dir, dann fahren wir ins Bel-Solair, die haben einen schönen Fitness-Raum mit Whirl - Pool, Sauna usw. auch ein gutes Bistro ist dabei. Wäre das was?“ Na ja, nach Fitness war es mir nicht gerade zumute, aber immer noch besser als zu Hause versacken, also sagte ich zu.
Bankdrücken, Beincurl, Lat-Ziehen, Butterfly, Sandsackboxen, das ging ganz schön rein, aber ich fühlte mich zunehmend besser, mit dem Schweiß spülte sich auch meine Müdigkeit und Gereiztheit aus meinem Körper. Und auch Maitre kann ganz schön ins Schwitzen.
Über eine Stunde quälten wir uns und gingen dann zuerst ein wenig in den Whirl Pool und anschließend in die Sauna. Ich dachte an das Weizenbier, welches mich für die Tortour belohnen sollte später und war bald wieder obenauf.
Ich weiß auch nicht mehr wie wir darauf kamen, aber ich beklagte mich mal wieder über einige meiner Mitmenschen. „Also dem W. kannst du wirklich nicht mehr zuhören, immer erzählt er mir den gleichen Mist und kommt sich noch turbowichtig dabei vor, muss stets alles besser wissen. Und dann der J. dieser Langweiler, wenn der redet könntest du zwischen den Sätzen ein Nickerchen machen. Von den Sportlern ganz zu schweigen, Leistung, Stärke, den Besseren bewundern, sich über die schlechteren lustig machen, einfach zum Kotzen.“
Was macht übrigens der H.“ fragte Maitre. „Hör mir auf mit dem und seiner G.“ sagte ich. „Das Schauspiel, welches sie kürzlich in meinem Beisein abgezogen haben - und das war ja nicht das erste Mal,- dafür hätten sie vier Oskars verdient, wovon G. mindestens drei zustehen würden. Immer wieder muss ich mir ihre Probleme anhören, welche sie ständig gebetsmühlenartig rekapitulieren, so als würden sie um ihren Erhalt bitten.“
„Toleranz, mein lieber Columbo, scheint nicht gerade deine Stärke zu sein“ meinte Maitre schmunzelnd.
„Andauernd lässt du dich über diesen, oder jenen aus, weil sie einfach nicht so sind wie du sie gerne hättest!“
„Aber das gleiche machst du doch jetzt auch mir“, antwortete ich ihm. „Wärst du tolerant würde es dich doch nicht stören was ich gesagt habe.“
Maitre bekam jetzt doch einen etwas verärgerten Gesichtsausdruck. „Ich dachte nach einer Stunde Sport, Whirlpool und Sauna wärst du geläutert Columbo. Aber heute scheint wirklich nicht dein Tag zu sein, denn normalerweise kenne ich dich doch etwas selbstkritischer.“
Ich nagte an meiner Unterlippe und überlegte. Es scheint etwas dran zu sein an dem was er sagte, denn ich finde an meinen Mitmenschen oft etwas zu nörgeln.
„Wie viel W. J. H. und G. stecken in Columbo?“ „W. ist W. J. ist J. H. und G. sind eben H. und G. und ich bin Columbo, Punkt. Ich weiß nicht Maitre ob man das alles so interpretieren kann wie du, “ meinte ich.
„Und ich behaupte man sieht was man ist“ entgegnete mir Maitre.
„Ist es nicht so“, sprach er weiter, „dass wir an anderen unsere eigenen, tatsächlichen, oder vermeintlichen Schwächen bekämpfen?“ Ich will dir jetzt mal eine Geschichte erzählen, die ich kürzlich, ich weiß gar nicht mehr wo, gelesen habe:
„Der britische Kunsthistoriker Sir Ernst Gombrich hat mit Psychologen der London University ein ungewöhnliches Experiment unternommen. 100 Erstsemester-Studenten sollten auf einem Fragebogen ein Bild von William Turner beschreiben, nicht nur Farben und Motiv, sondern auch, was ihnen daran gefiel und was nicht. Die Bögen wurden eingesammelt. Im folgenden Semester, die Studenten hatten die Bildbetrachtung längst vergessen, wurden sie abermals gebeten – diesmal aber darum, zwei Personen ihrer Wahl zu beschreiben, eine sympathische und eine unsympathische, natürlich ohne Namen. Danach machte sich Psychologie-Professorin Brenda Lawson an die Arbeit. Als erstes fand sie heraus: Fast jeder Student hatte die Malerei mit ganz ähnlichen Worten beschrieben wie die Personen. Ja, jeder hatte in Turners Gemälde dasselbe entdeckt oder hineingelegt, was er auch in lebenden Gefährten sah.
Zufall? Bestimmt nicht. Denn nun kam die Umkehrung.
Die Psychologin nahm die Schilderungen der sympathischen und unsympathischen Zeitgenossen und fasste sie in einer einzigen Charakterbeschreibung mit guten und schlechten Zügen zusammen. Diese Charakteristik gab sie den Studenten zurück. Wir haben Sie drei Semester lang beobachtet, erklärte sie. Hier ist das Ergebnis. Finden Sie sich einigermaßen richtig beschrieben?

Das Echo war enorm. Über 80 Prozent der Studenten staunten, wie genau sie getroffen und wie leicht sie durchschaut worden waren. Der Irrtum: Keiner hatte sie beobachtet, geschweige durchschaut. Sie lasen nur, was sie selbst über einen lieben und einen unsympathischen Menschen geschrieben hatten. Diese Worte, auf sie selbst bezogen, offenbarten ihre angenehmen und weniger angenehmen Seiten.“
Einigermaßen verblüfft war ich schon von dieser Geschichte. Das was mich an den Menschen um mich her stört, sind das am Ende nicht auch meine Schwächen, oder Probleme?
H. und G´s Lebensbaustellen, könnten bei mir sogar Ruinen sein?
Neige ich denn im Grunde nicht auch wie W. dazu immer den gleichen Mist zu erzählen? Will ich denn nicht auch zu den Stärkeren gehören im Sport und ziehe über diejenigen her, welche besser sind, weil ich sie insgeheim beneide und verachte im Grunde doch auch die Schwächeren?
„Mach aber jetzt kein Drama daraus“ sagte Maitre. „So sind die meisten Menschen, oder glaubst du mir geht es viel anders? Das Wichtigste dabei ist jedoch dass man es erkennt, dass man seine Projektionen entlarvt.“ „Die Gefahr ist zwar noch nicht ganz gebannt wenn man sie erkennt, aber Selbsterkenntnis ist schon der erste Weg zur Besserung. Ich bin zwar nur bedingt für volksmundige Sprüche, aber hier scheint was Wahres dran.“

Mittwoch, 7. Mai 2008

AM SEE

Seit längerer Zeit trafen wir uns wieder bei Luigi. Es war ein wunderschöner Frühlingsabend und wir saßen draußen auf der Terrasse mit Blick zu dem angrenzenden See, auf den sich langsam die Sonne herabsenkte.
Was Luigi uns diesmal servierte kannte ich eigentlich bisher nicht: Grünen Spargel, mit einer Sauce aus Käse und Tomaten, dazu eine kleines Kalbssteak und neue Kartoffel leicht angebraten. Natürlich fehlte auch nicht der herrliche italienischer Weißwein: Trocken, aber dennoch fruchtig-mild! Muß ich hier erwähnen dass mir das einfach wunderbar schmeckte? Auch mein Freund Maitre schnurrte zufrieden.
Überhaupt geht von ihm stets eine wunderbare Gelöstheit aus und ich denke das ist es was seine Gegenwart für mich so angenehm macht, denn ich neige leider allzu sehr dazu mich von negativen Erscheinungen runterziehen zu lassen.
„Nimm doch nicht immer alles so ernst Columbo“ meinte er kürzlich, als ich wieder einmal ziemlich am Boden war. „Glaubst du denn die Dinge ändern sich wenn du dich darüber aufregst?“ „Das einzige was du ändern kannst ist deine Einstellung dazu“, meinte Maitre. „Du musst stark sein, dann wirst du auch die Kraft haben eine Sache zu bewältigen, aber dein Jammern hilft dir nicht die Bohne!“
„Ja das weiß ich ja alles“, erwiderte ich, „aber ich kriege das einfach nicht so richtig hin.“
„Doch, das kriegst du hin“, sagte er. „Gleichmütiges Denken, was allerdings nichts mit reiner Gleichgültigkeit zu tun hat, das kannst du schon lernen, wobei es in bestimmten Situationen schon gut sein kann gleichgültiger zu sein.“
„Und wie schaffst du das“, wollte ich wissen.
Maitre schwieg eine zeitlang und dann sagte er: „Schau mal, dir geht es anscheinend so wie vielen anderen auch, ihr wollt immer angenehme Situationen erleben. Es muss stets alles funktionieren und ihr sehnt euch danach glücklich zu sein, wollt frohe und positive Gedanken haben. Und kaum läuft etwas nicht so, dann seid ihr gefrustet.“
Natürlich wusste ich, dass Maitre den Nagel mal wieder auf den Kopf getroffen hatte.
„Ja gut ok.“ sagte ich, „aber das war jetzt nicht die Antwort auf meine Frage.“
„Du bist gut“ erwiderte er, „jetzt willst du wieder einmal von mir ein Patentrezept, um mir dann später zu sagen dass das nicht klappt. Weißt du Columbo, du solltest endlich einmal die Verantwortung für dein Denken übernehmen. Ich habe dir ja nur einen Tipp gegeben, nämlich gleichmütiger zu sein, wie du das machst, ist doch letztendlich deine Sache.“
„Ja gut, aber dann sag mir doch wenigstens wie du das machst“, bat ich ihn.
Er sah mich spöttisch an und grinste. „Glaubst du wirklich dass es bei dir auch funktioniert? Nun gut, also ich sage mir: Lass doch das Negative ruhig kommen, irgendwie werde ich schon damit fertig werden, sollen alle schlimme Gedanken in mir rumoren und in meinem Kopf herumspuken so lange sie wollen, ich bin bereit sie einfach auszuhalten und kämpfe nicht gegen sie an.“
„Hä“, sagte ich, „das geht doch gar nicht, ich kann doch nicht einfach nicht denken.“
„Begreifst du denn gar nichts“ erwiderte er. „Das ist doch genau der Punkt, eben weil man nicht nicht- denken kann, macht es auch keinen Sinn gegen das Denken anzukämpfen. Erinnere dich doch einmal an den alten ZEN-Meister von dem ich dir kürzlich erzählte, der sagte dass er fast sein ganzes Leben gebraucht hat, um seine eigenen Gedanken zu ertragen.“
„Ich stelle mir einfach vor mein Hirn wäre ein Spiegel, der lediglich das reflektiert was vor ihn hintritt, ohne es zu bewerten, ohne es weder zu negieren, bzw. zu rechtfertigen. Dem Spiegel ist es piepegal was er aufnimmt, oder denkst du er teilt die Dinge in gut oder schlecht ein?“
Wieder einmal amüsierte ich mich über die komischen Vergleiche die Maitre manchmal anstellt, aber als wir eine zeitlang schweigen dasaßen und auf den See hinausblickten, indem jetzt ganz langsam dir glutrote Sonne versank, fand ich das eigentlich ganz interessant.
„Kannst du das wirklich“ fragte ich Maitre. „Ich meine, ist es wirklich möglich seine Gedanken wirklich nur zu beobachten, wie diesen Sonnenuntergang hier?“
„Mit etwas Übung schon“ behauptete er. „Das Problem ist doch, dass wir alle dazu neigen uns mit unserem Denken zu identifizieren. Wir meinen dass das was wir denken die Wirklichkeit ist, dabei ist es lediglich eine Interpretation auf dem Hintergrund unserer Erfahrungen, unser Geist ist programmiert, das ist alles!“
Und wieder erlebte ich mich als äußerst ratlos, mir war das alles zu philosophisch, zu abstrakt.
„Du hast Angst vor deinen Ängsten, stimmt´s“, fragte er mich!
Oh je, jetzt das wieder, dachte ich. „ Weich nicht wieder aus Columbo, ich kenne dich, also komm schon gib´s zu! “
Natürlich musste ich Maitre Recht geben. Mein Vater starb an Krebs und meine Mutter verschied geistig verwirrt in einem Pflegeheim und ich bin davon überzeugt dass der Krebs mich eines Tages auch erwischen wird, so wie meinen Vater. Nicht nur diese Vorstellung macht mir angst, sondern auch die Angst selbst. Oh ja, ich kenne viele Ängste: Versagen, finanzielle Not, Ablehnung usw.
„Ich bin ja einige Jahre älter als du, sprach Maitre weiter „und ich denke dass deine Generation in den Wohlstand hineingewachsen ist und damit nicht immer gut klar kommt.“
Innerlich musste ich ihm zustimmen, denn ich dachte an meine vielen Freunde und Bekannte in meinem Alter, die meist am Klagen sind.
„Aber was hat das mit meinen Ängsten zu tun?“ Warf ich ein! „Oh doch schon eine ganze Menge“ erwiderte er. „Ihr habt einfach nicht gelernt mit Frustrationen umzugehen, Defizite zu ertragen, Not und Elend auszuhalten. Ihr lebt in einer Welt der schönen Bilder und schon der kleinste Kratzer daran wird zur Katastrophe hochstilisiert. George Orwell, der Autor von „1984“
hat es sehr treffend in einem Essay formuliert: „ Menschen mit leeren Bäuchen verzweifeln nicht am Universum, sie denken nicht einmal daran.“ Bevor ich intervenieren wollte sagte Maitre:“ Der berühmte österreichische Psychotherapeut Paul Watzlawick, der in Amerika arbeitete, sagte in einem Interview:“ Ich erlebte 1946 im zusammengebombten Triest, das es einfach an allem fehlte, und man registrierte 14 Selbstmorde im Jahr. In den fünfziger Jahren, als die meisten Menschen schon wieder Arbeit, Wohnung und zu essen hatten, schnellte die Selbstmordrate hinauf: auf zwölf pro Monat. Das, sagte Watzlawick, gebe ihm sehr zu denken.“
„Maitre“ sagte ich, „das ist doch Unsinn, brauchen wir jetzt erst Not, Elend, Kriege und sonstige Katastrophen um vernünftig leben zu können?“
„Weiß Gott nicht“ erwiderte er. „Aber es geht darum die Zusammenhänge zu erkennen. Wer im Überfluss lebt, kann dessen schnell überdrüssig werden. Und dann strebt er ständig nach mehr, dann muss ein neuer Reiz her, ein anderes Amüsement. Dann will man es einfach nicht begreifen dass das Leben ein ständiges Auf und Ab ist. Dann will man es einfach nicht wahrhaben dass es auch negative Situationen gibt, dass hinter dem Leben der Tod lauert, dass einem Krankheiten aufsuchen könnten, dass es auch Menschen gibt welche einem ablehnen, dass man plötzlich auch in seelische, oder materielle Not geraten kann“ Das Columbo ist der Punkt. Du willst es einfach nicht wahrhaben dass deine Welt der schönen Bilder Flecken hat“
„Noch mal die Frage Maitre: Was hat das alles mit meinen Ängsten zu tun, ist es denn nicht normal vor bestimmten Dingen angst zu haben?“ „Doch, aber das ist doch dein Problem: Je größer du deine Angst empfindest und je stärker dein Wunsch ist diese wieder loszuwerden, desto größer wird deine Angst. Dich stören die Flecken an deinen schönen Bildern ungemein und du willst sie unbedingt weg haben, also siehst du am Ende nur noch hässliche Flecken.“
„Das Leben hat dunkle Stellen Columbo und ich habe gelernt auch das Negative in mein Leben zu integrieren, so bin ich nicht mehr auf der Flucht. Und bei allem was mir an Unangenehmem widerfährt frage ich mich, welche Bedeutung diese Dinge vor dem Hintergrund meines unausweichlichen Todes haben“.
Dazu fiel mir jetzt nichts ein und es war gut dass Luigi uns einen Grappa servierte, der kam im Moment gerade recht.
„Lass uns vielleicht ein wenig spazieren gehen“, sagte Maitre und wir schlenderten bald darauf am Seeufer entlang.
„Oft“, sagte ich, „Fühle ich mich einfach viel zu gehetzt und nervös, obwohl scheinbar überhaupt kein Grund dafür da ist“.
„Och“, antwortete Maitre so ging es mir früher auch, aber heute sehe ich meiner Unruhe ins Auge und nehme sie ganz einfach hin, ohne dagegen innerlich Sturm zu laufen. Aber das geht natürlich nicht von heute auf morgen, dafür muss man sich Zeit lassen. Und noch etwas: Ich übe mich darin mich einfach treiben zu lassen, von hier nach dort, von einem Augenblick zum Nächsten, dann fühle ich wie mich meine Gedanken auch wieder loslassen.“
In der darauf folgenden Nacht schlief ich endlich einmal wieder tief und fest…

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