AM SEE

Seit längerer Zeit trafen wir uns wieder bei Luigi. Es war ein wunderschöner Frühlingsabend und wir saßen draußen auf der Terrasse mit Blick zu dem angrenzenden See, auf den sich langsam die Sonne herabsenkte.
Was Luigi uns diesmal servierte kannte ich eigentlich bisher nicht: Grünen Spargel, mit einer Sauce aus Käse und Tomaten, dazu eine kleines Kalbssteak und neue Kartoffel leicht angebraten. Natürlich fehlte auch nicht der herrliche italienischer Weißwein: Trocken, aber dennoch fruchtig-mild! Muß ich hier erwähnen dass mir das einfach wunderbar schmeckte? Auch mein Freund Maitre schnurrte zufrieden.
Überhaupt geht von ihm stets eine wunderbare Gelöstheit aus und ich denke das ist es was seine Gegenwart für mich so angenehm macht, denn ich neige leider allzu sehr dazu mich von negativen Erscheinungen runterziehen zu lassen.
„Nimm doch nicht immer alles so ernst Columbo“ meinte er kürzlich, als ich wieder einmal ziemlich am Boden war. „Glaubst du denn die Dinge ändern sich wenn du dich darüber aufregst?“ „Das einzige was du ändern kannst ist deine Einstellung dazu“, meinte Maitre. „Du musst stark sein, dann wirst du auch die Kraft haben eine Sache zu bewältigen, aber dein Jammern hilft dir nicht die Bohne!“
„Ja das weiß ich ja alles“, erwiderte ich, „aber ich kriege das einfach nicht so richtig hin.“
„Doch, das kriegst du hin“, sagte er. „Gleichmütiges Denken, was allerdings nichts mit reiner Gleichgültigkeit zu tun hat, das kannst du schon lernen, wobei es in bestimmten Situationen schon gut sein kann gleichgültiger zu sein.“
„Und wie schaffst du das“, wollte ich wissen.
Maitre schwieg eine zeitlang und dann sagte er: „Schau mal, dir geht es anscheinend so wie vielen anderen auch, ihr wollt immer angenehme Situationen erleben. Es muss stets alles funktionieren und ihr sehnt euch danach glücklich zu sein, wollt frohe und positive Gedanken haben. Und kaum läuft etwas nicht so, dann seid ihr gefrustet.“
Natürlich wusste ich, dass Maitre den Nagel mal wieder auf den Kopf getroffen hatte.
„Ja gut ok.“ sagte ich, „aber das war jetzt nicht die Antwort auf meine Frage.“
„Du bist gut“ erwiderte er, „jetzt willst du wieder einmal von mir ein Patentrezept, um mir dann später zu sagen dass das nicht klappt. Weißt du Columbo, du solltest endlich einmal die Verantwortung für dein Denken übernehmen. Ich habe dir ja nur einen Tipp gegeben, nämlich gleichmütiger zu sein, wie du das machst, ist doch letztendlich deine Sache.“
„Ja gut, aber dann sag mir doch wenigstens wie du das machst“, bat ich ihn.
Er sah mich spöttisch an und grinste. „Glaubst du wirklich dass es bei dir auch funktioniert? Nun gut, also ich sage mir: Lass doch das Negative ruhig kommen, irgendwie werde ich schon damit fertig werden, sollen alle schlimme Gedanken in mir rumoren und in meinem Kopf herumspuken so lange sie wollen, ich bin bereit sie einfach auszuhalten und kämpfe nicht gegen sie an.“
„Hä“, sagte ich, „das geht doch gar nicht, ich kann doch nicht einfach nicht denken.“
„Begreifst du denn gar nichts“ erwiderte er. „Das ist doch genau der Punkt, eben weil man nicht nicht- denken kann, macht es auch keinen Sinn gegen das Denken anzukämpfen. Erinnere dich doch einmal an den alten ZEN-Meister von dem ich dir kürzlich erzählte, der sagte dass er fast sein ganzes Leben gebraucht hat, um seine eigenen Gedanken zu ertragen.“
„Ich stelle mir einfach vor mein Hirn wäre ein Spiegel, der lediglich das reflektiert was vor ihn hintritt, ohne es zu bewerten, ohne es weder zu negieren, bzw. zu rechtfertigen. Dem Spiegel ist es piepegal was er aufnimmt, oder denkst du er teilt die Dinge in gut oder schlecht ein?“
Wieder einmal amüsierte ich mich über die komischen Vergleiche die Maitre manchmal anstellt, aber als wir eine zeitlang schweigen dasaßen und auf den See hinausblickten, indem jetzt ganz langsam dir glutrote Sonne versank, fand ich das eigentlich ganz interessant.
„Kannst du das wirklich“ fragte ich Maitre. „Ich meine, ist es wirklich möglich seine Gedanken wirklich nur zu beobachten, wie diesen Sonnenuntergang hier?“
„Mit etwas Übung schon“ behauptete er. „Das Problem ist doch, dass wir alle dazu neigen uns mit unserem Denken zu identifizieren. Wir meinen dass das was wir denken die Wirklichkeit ist, dabei ist es lediglich eine Interpretation auf dem Hintergrund unserer Erfahrungen, unser Geist ist programmiert, das ist alles!“
Und wieder erlebte ich mich als äußerst ratlos, mir war das alles zu philosophisch, zu abstrakt.
„Du hast Angst vor deinen Ängsten, stimmt´s“, fragte er mich!
Oh je, jetzt das wieder, dachte ich. „ Weich nicht wieder aus Columbo, ich kenne dich, also komm schon gib´s zu! “
Natürlich musste ich Maitre Recht geben. Mein Vater starb an Krebs und meine Mutter verschied geistig verwirrt in einem Pflegeheim und ich bin davon überzeugt dass der Krebs mich eines Tages auch erwischen wird, so wie meinen Vater. Nicht nur diese Vorstellung macht mir angst, sondern auch die Angst selbst. Oh ja, ich kenne viele Ängste: Versagen, finanzielle Not, Ablehnung usw.
„Ich bin ja einige Jahre älter als du, sprach Maitre weiter „und ich denke dass deine Generation in den Wohlstand hineingewachsen ist und damit nicht immer gut klar kommt.“
Innerlich musste ich ihm zustimmen, denn ich dachte an meine vielen Freunde und Bekannte in meinem Alter, die meist am Klagen sind.
„Aber was hat das mit meinen Ängsten zu tun?“ Warf ich ein! „Oh doch schon eine ganze Menge“ erwiderte er. „Ihr habt einfach nicht gelernt mit Frustrationen umzugehen, Defizite zu ertragen, Not und Elend auszuhalten. Ihr lebt in einer Welt der schönen Bilder und schon der kleinste Kratzer daran wird zur Katastrophe hochstilisiert. George Orwell, der Autor von „1984“
hat es sehr treffend in einem Essay formuliert: „ Menschen mit leeren Bäuchen verzweifeln nicht am Universum, sie denken nicht einmal daran.“ Bevor ich intervenieren wollte sagte Maitre:“ Der berühmte österreichische Psychotherapeut Paul Watzlawick, der in Amerika arbeitete, sagte in einem Interview:“ Ich erlebte 1946 im zusammengebombten Triest, das es einfach an allem fehlte, und man registrierte 14 Selbstmorde im Jahr. In den fünfziger Jahren, als die meisten Menschen schon wieder Arbeit, Wohnung und zu essen hatten, schnellte die Selbstmordrate hinauf: auf zwölf pro Monat. Das, sagte Watzlawick, gebe ihm sehr zu denken.“
„Maitre“ sagte ich, „das ist doch Unsinn, brauchen wir jetzt erst Not, Elend, Kriege und sonstige Katastrophen um vernünftig leben zu können?“
„Weiß Gott nicht“ erwiderte er. „Aber es geht darum die Zusammenhänge zu erkennen. Wer im Überfluss lebt, kann dessen schnell überdrüssig werden. Und dann strebt er ständig nach mehr, dann muss ein neuer Reiz her, ein anderes Amüsement. Dann will man es einfach nicht begreifen dass das Leben ein ständiges Auf und Ab ist. Dann will man es einfach nicht wahrhaben dass es auch negative Situationen gibt, dass hinter dem Leben der Tod lauert, dass einem Krankheiten aufsuchen könnten, dass es auch Menschen gibt welche einem ablehnen, dass man plötzlich auch in seelische, oder materielle Not geraten kann“ Das Columbo ist der Punkt. Du willst es einfach nicht wahrhaben dass deine Welt der schönen Bilder Flecken hat“
„Noch mal die Frage Maitre: Was hat das alles mit meinen Ängsten zu tun, ist es denn nicht normal vor bestimmten Dingen angst zu haben?“ „Doch, aber das ist doch dein Problem: Je größer du deine Angst empfindest und je stärker dein Wunsch ist diese wieder loszuwerden, desto größer wird deine Angst. Dich stören die Flecken an deinen schönen Bildern ungemein und du willst sie unbedingt weg haben, also siehst du am Ende nur noch hässliche Flecken.“
„Das Leben hat dunkle Stellen Columbo und ich habe gelernt auch das Negative in mein Leben zu integrieren, so bin ich nicht mehr auf der Flucht. Und bei allem was mir an Unangenehmem widerfährt frage ich mich, welche Bedeutung diese Dinge vor dem Hintergrund meines unausweichlichen Todes haben“.
Dazu fiel mir jetzt nichts ein und es war gut dass Luigi uns einen Grappa servierte, der kam im Moment gerade recht.
„Lass uns vielleicht ein wenig spazieren gehen“, sagte Maitre und wir schlenderten bald darauf am Seeufer entlang.
„Oft“, sagte ich, „Fühle ich mich einfach viel zu gehetzt und nervös, obwohl scheinbar überhaupt kein Grund dafür da ist“.
„Och“, antwortete Maitre so ging es mir früher auch, aber heute sehe ich meiner Unruhe ins Auge und nehme sie ganz einfach hin, ohne dagegen innerlich Sturm zu laufen. Aber das geht natürlich nicht von heute auf morgen, dafür muss man sich Zeit lassen. Und noch etwas: Ich übe mich darin mich einfach treiben zu lassen, von hier nach dort, von einem Augenblick zum Nächsten, dann fühle ich wie mich meine Gedanken auch wieder loslassen.“
In der darauf folgenden Nacht schlief ich endlich einmal wieder tief und fest…

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Aktuelle Beiträge

Josef Mühlbacher Über-Ich
Jüngst belauschter Disput zwischen Ich und Über-Ich: I:...
Josef Mühlbacher - 13. Okt, 13:39
Sport Journal
Meine Schlafqualität ist wieder miserabel zurzeit....
helrhe - 17. Jun, 20:01
HEUTE BEGINNT DER REST...
Wir aßen bei mir zu Hause. Es gab rosa gebratene Rumpsteaks...
helrhe - 15. Jun, 09:50
WICHTIGTUER
Ein immer wieder interessantes Thema ist es, mit schwierigeren...
helrhe - 9. Jun, 09:10
MENTAL-DIÄT
Negatives Denken, sich zu viele Sorgen zu machen, immer...
helrhe - 8. Jun, 19:44

Links

Suche

 

Status

Online seit 5850 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 13. Okt, 13:39

Credits


Profil
Abmelden
Weblog abonnieren