BEL SOLAIR

So mies wie das Wetter fühlte ich mich an diesem Sonntag. Es regnete anscheinend nur einmal und ich war müde und gereizt, konnte mich einfach zu nichts aufraffen. Was sollte ich machen heute? Lesen? Nichts Gescheites da, Fernsehen? Scheiß Programm, also… Decke über den Kopf, nichts sehen und nichts hören.
Das Telefon klingelte, ätzend schrill, unangenehm laut. Nein heute bitte nicht, dachte ich und ließ es läuten. Aber der Anrufer war hartnäckig, also ging ich irgendwann doch dran. Es war Maitre.
„Sag mal“ begann er, „habe ich dich aus dem Koma geholt, oder was? Schon dreimal habe ich es durchläuten lassen! „Sorry, mein Freund, sagte ich, „aber heute ist anscheinend nicht mein Tag.“
„ Ok, ich mach dir nen Vorschlag,“ meinte er, „in einer halben Stunde bin ich bei dir, dann fahren wir ins Bel-Solair, die haben einen schönen Fitness-Raum mit Whirl - Pool, Sauna usw. auch ein gutes Bistro ist dabei. Wäre das was?“ Na ja, nach Fitness war es mir nicht gerade zumute, aber immer noch besser als zu Hause versacken, also sagte ich zu.
Bankdrücken, Beincurl, Lat-Ziehen, Butterfly, Sandsackboxen, das ging ganz schön rein, aber ich fühlte mich zunehmend besser, mit dem Schweiß spülte sich auch meine Müdigkeit und Gereiztheit aus meinem Körper. Und auch Maitre kann ganz schön ins Schwitzen.
Über eine Stunde quälten wir uns und gingen dann zuerst ein wenig in den Whirl Pool und anschließend in die Sauna. Ich dachte an das Weizenbier, welches mich für die Tortour belohnen sollte später und war bald wieder obenauf.
Ich weiß auch nicht mehr wie wir darauf kamen, aber ich beklagte mich mal wieder über einige meiner Mitmenschen. „Also dem W. kannst du wirklich nicht mehr zuhören, immer erzählt er mir den gleichen Mist und kommt sich noch turbowichtig dabei vor, muss stets alles besser wissen. Und dann der J. dieser Langweiler, wenn der redet könntest du zwischen den Sätzen ein Nickerchen machen. Von den Sportlern ganz zu schweigen, Leistung, Stärke, den Besseren bewundern, sich über die schlechteren lustig machen, einfach zum Kotzen.“
Was macht übrigens der H.“ fragte Maitre. „Hör mir auf mit dem und seiner G.“ sagte ich. „Das Schauspiel, welches sie kürzlich in meinem Beisein abgezogen haben - und das war ja nicht das erste Mal,- dafür hätten sie vier Oskars verdient, wovon G. mindestens drei zustehen würden. Immer wieder muss ich mir ihre Probleme anhören, welche sie ständig gebetsmühlenartig rekapitulieren, so als würden sie um ihren Erhalt bitten.“
„Toleranz, mein lieber Columbo, scheint nicht gerade deine Stärke zu sein“ meinte Maitre schmunzelnd.
„Andauernd lässt du dich über diesen, oder jenen aus, weil sie einfach nicht so sind wie du sie gerne hättest!“
„Aber das gleiche machst du doch jetzt auch mir“, antwortete ich ihm. „Wärst du tolerant würde es dich doch nicht stören was ich gesagt habe.“
Maitre bekam jetzt doch einen etwas verärgerten Gesichtsausdruck. „Ich dachte nach einer Stunde Sport, Whirlpool und Sauna wärst du geläutert Columbo. Aber heute scheint wirklich nicht dein Tag zu sein, denn normalerweise kenne ich dich doch etwas selbstkritischer.“
Ich nagte an meiner Unterlippe und überlegte. Es scheint etwas dran zu sein an dem was er sagte, denn ich finde an meinen Mitmenschen oft etwas zu nörgeln.
„Wie viel W. J. H. und G. stecken in Columbo?“ „W. ist W. J. ist J. H. und G. sind eben H. und G. und ich bin Columbo, Punkt. Ich weiß nicht Maitre ob man das alles so interpretieren kann wie du, “ meinte ich.
„Und ich behaupte man sieht was man ist“ entgegnete mir Maitre.
„Ist es nicht so“, sprach er weiter, „dass wir an anderen unsere eigenen, tatsächlichen, oder vermeintlichen Schwächen bekämpfen?“ Ich will dir jetzt mal eine Geschichte erzählen, die ich kürzlich, ich weiß gar nicht mehr wo, gelesen habe:
„Der britische Kunsthistoriker Sir Ernst Gombrich hat mit Psychologen der London University ein ungewöhnliches Experiment unternommen. 100 Erstsemester-Studenten sollten auf einem Fragebogen ein Bild von William Turner beschreiben, nicht nur Farben und Motiv, sondern auch, was ihnen daran gefiel und was nicht. Die Bögen wurden eingesammelt. Im folgenden Semester, die Studenten hatten die Bildbetrachtung längst vergessen, wurden sie abermals gebeten – diesmal aber darum, zwei Personen ihrer Wahl zu beschreiben, eine sympathische und eine unsympathische, natürlich ohne Namen. Danach machte sich Psychologie-Professorin Brenda Lawson an die Arbeit. Als erstes fand sie heraus: Fast jeder Student hatte die Malerei mit ganz ähnlichen Worten beschrieben wie die Personen. Ja, jeder hatte in Turners Gemälde dasselbe entdeckt oder hineingelegt, was er auch in lebenden Gefährten sah.
Zufall? Bestimmt nicht. Denn nun kam die Umkehrung.
Die Psychologin nahm die Schilderungen der sympathischen und unsympathischen Zeitgenossen und fasste sie in einer einzigen Charakterbeschreibung mit guten und schlechten Zügen zusammen. Diese Charakteristik gab sie den Studenten zurück. Wir haben Sie drei Semester lang beobachtet, erklärte sie. Hier ist das Ergebnis. Finden Sie sich einigermaßen richtig beschrieben?

Das Echo war enorm. Über 80 Prozent der Studenten staunten, wie genau sie getroffen und wie leicht sie durchschaut worden waren. Der Irrtum: Keiner hatte sie beobachtet, geschweige durchschaut. Sie lasen nur, was sie selbst über einen lieben und einen unsympathischen Menschen geschrieben hatten. Diese Worte, auf sie selbst bezogen, offenbarten ihre angenehmen und weniger angenehmen Seiten.“
Einigermaßen verblüfft war ich schon von dieser Geschichte. Das was mich an den Menschen um mich her stört, sind das am Ende nicht auch meine Schwächen, oder Probleme?
H. und G´s Lebensbaustellen, könnten bei mir sogar Ruinen sein?
Neige ich denn im Grunde nicht auch wie W. dazu immer den gleichen Mist zu erzählen? Will ich denn nicht auch zu den Stärkeren gehören im Sport und ziehe über diejenigen her, welche besser sind, weil ich sie insgeheim beneide und verachte im Grunde doch auch die Schwächeren?
„Mach aber jetzt kein Drama daraus“ sagte Maitre. „So sind die meisten Menschen, oder glaubst du mir geht es viel anders? Das Wichtigste dabei ist jedoch dass man es erkennt, dass man seine Projektionen entlarvt.“ „Die Gefahr ist zwar noch nicht ganz gebannt wenn man sie erkennt, aber Selbsterkenntnis ist schon der erste Weg zur Besserung. Ich bin zwar nur bedingt für volksmundige Sprüche, aber hier scheint was Wahres dran.“

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